Zu den besonderen Herausforderungen bei der Übersetzung

von Hartmut Bobzin

Der Anlass für die folgenden Ausführungen ist eine im September 2005 erschienene, von mir herausgegebene Auswahl von Korantexten in eigener Übersetzung, die nach thematischen Gesichtspunkten geordnet und mit knappen Erläuterungen versehen ist. [Fußnote 1]Hartmut Bobzin, KoranLeseBuch. Wichtige Text neu übersetzt und kommentiert, Freiburg i. Br. 2005. Im Rahmen des Religionsforums „Islam in Europa“ habe ich in der Arbeitsgruppe D „Darf der Koran historisch-hermeneutisch gelesen werden?“ einige Überlegungen zu meiner eigenen Vorgehensweise als Übersetzer vorgetragen, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit beanspruchen können, sondern nur einige für mich selber wesentliche Gesichtspunkte zur Sprache bringen.

Marmaduke Pickthall (1875-1936) [Fußnote 2]Zu seiner Biographie s. Peter Clark, Marmaduke Pickthall: British Muslim, London/ Melbourne/New York 1986., der erste englische Muslim, der den Koran in seine Muttersprache übertrug (1930) [Fußnote 3]The Meaning of the Glorious Koran. An Explanatory Translation, London: George Allen & Unwin (urspr. Alfred A. Knopf)- Die Übersetzung hatte einen enormen Erfolg und ist noch heute unter englischen Muslimen weitverbreitet. Zu älteren englischen Übersetzungen vgl. Hartmut Bobzin, Translations of the Qur’an, in: Encyclopaedia of the Qur’an, Bd. 5, 340-358; Ismet Binark / Halit Eren, World Bibliography of Translations of the Meanings of the Holy Qur’an: Printed Translations 1515-1980, Istanbul 1986., hat seiner Übersetzung ein kurzes Vorwort vorangestellt, in dem er mehrere, für jeden Koranübersetzer überaus wichtige Gesichtspunkte zur Sprache bringt. Ich zitiere zunächst den Beginn:

The aim of this work is to present to English readers what Muslims the world over hold to be the meaning of the .words of the Koran, and the nature of that book, in not unworthy lan­guage and concisely, with a view of the requirements of English Muslims. It may be reasonably claimed that no Holy Scripture can be fairly presented by one who disbelieves its inspiration and its message; and this is the first English translation of the Koran by an Englishman who is a Muslim.

Damit spricht Pickthall erstmals ein Problem an, das in der Religionsgeschichte ein einmaliges Faktum darstellt: Dass der Koran nämlich bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in europäische Sprachen nur von Nicht-Muslimen übersetzt wurde. Nur in Parenthese möchte ich bemerken, dass mir bis heute z.B. keine komplette islamische oder buddhistische Bibelübersetzung bekannt ist. Doch zurück zu Pickthall. Er fährt in seinem Vorwort wie folgt fort:

Some of the translations include commentation offensive to Muslims and almost all employ a style of language which Muslims at once recognise as unworthy. The Koran cannot be trans­lated. That is the belief of old fashioned Sheykhs and the view of the present writer.

Gleichwohl aber „übersetzt“ Pickthall den Koran und beschreibt das folgendermaßen:

The Book is here rendered almost literally and every effort has been made to choose befit­ting language. But the result is not the Glorious Koran, that inimitable symphony, the very sounds of which move men to tears and ecstasy.

Zwei Dinge vor allem sind als ernstzunehmende Kritik Pickthalls festzuhalten: Pickthall weist ganz zu Recht auf die vielfach feindseligen Kommentare hin, die sich in den Koranübersetzungen von Nicht-Muslimen finden lassen, und er kritisiert die oft unangemessene, „unwürdige“ Sprache. Desweiteren wirft er die Frage auf, ob jemand, der Nicht-Muslim ist, überhaupt in der Lage sei, den Koran zu übersetzen. Auch wenn diese Frage jüngst wieder mit großer Entschiedenheit von Ahmed von Denffer [Fußnote 4]Der Koran. Die Heilige Schrift des Islam in deutscher Übertragung mit den Kommentaren von Dschalalain, Tabari und anderen hervorragenden klassischen Koranauslegem, Islamabad/ München 1996, S. XVIIIff., bes. S. XXI. verneint worden ist, möchte ich dem entschieden widersprechen; trotz Kritik im Einzelnen haben Übersetzungen wie die von Friedrich Rückert und Max Henning [Fußnote 5]Murad Wilfried Hofmann hat sie in muslimischem Geist überarbeitet, vgl. Der Koran. Das heilige Buch des Islam. Aus dem Arabischen von Max Henning. Überarbeitung und Einleitung von Murad Wilfried Hofmann, Istanbul 1998. Vgl. dort das Vorwort, das sich ausführlich mit der angesprochenen Problematik auseinandersetzt. hohe Anerkennung auch von muslimischer Seite erfahren, trotz aller Kritik an Einzelheiten.

Warum übersetzte man in Europa überhaupt den Koran? [Fußnote 6]Vgl. zum Folgenden Hartmut Bobzin, Der Koran im Zeitalter der Reformation (Beiruter Texte und Studien 42), Beirut/Stuttgart 1995; ders., „Art. Pre-1800 Preoccupations of Qur’ānic Studies„, in: Encyclopaedia of Qur’ān, Bd. 4, Leiden 2004, 235-253, sowie Art. „Translations of the Qur’ān„, wie oben Anm. 3. Der Zweck der älteren Koranübersetzungen war zunächst ganz klar polemischer Art. Um den Islam als den Hauptgegner des Christentums in dessen ursprünglichen Stammlanden bekämpfen zu können, bedurfte es einer genauen Kenntnis seiner heiligen Schrift. [Fußnote 7]Hierbei handelte es sich, um dies nachdrücklich zu betonen, um eine Auseinandersetzung mit den Waffen des Geistes, und nicht militärischer Art. Petrus Venerabilis (1092-1156), dem Inaugurator der ersten lateinischen Übersetzung des Korans, ging es aber ebenso wie einigen späteren christlichen Übersetzern oder Bestreitern des Korans nicht nur um eine Widerlegung des Korans, sondern auch darum, zu zeigen, dass der Koran sozusa­gen die „schlechtere Bibel“ ist. Man suchte deshalb nach allen möglichen Ungereimtheiten im Koran, und fand sie auch. [Fußnote 8]Vgl. dazu Hartmut Bobzin, „A Treasury of Heresies“. Christian Polemics against the Koran, in: Stefan Wild (Ed.), The Qur’an as Text, Leiden/New York/Köln 1996, 157-175, bes. S. 166. Genau 400 Jahre später erschien diese lateinische Übersetzung in Basel in gedruckter Form: als erste vollständige Koranübersetzung in eine europäische Sprache überhaupt. [Fußnote 9]Theodor Bibliander, Machumetis Sarracenorum principis, eiusque successorum vita, ac doctrina, ipseque Alcoran… 3 vols., Basel 1543, 21550. Das war aber erst möglich nach einer heftigen Auseinandersetzung darüber, ob in einer „christlichen“ Stadt wie Basel ein Buch wie der Koran erscheinen dürfe. Martin Luther (1483-1546), der sich 1542 in einem Brief an den Rat der Stadt Basel für eine Freigabe des Druckes aussprach, fand als Begründung für die Publikation die Worte,

das man dem Mahmet oder Turcken nichts verdrieslichers thun, noch mehr schaden zu fugen kan (mehr denn mit allen waffen), denn das man yhren alcoran bey den Christen an den tag bringe, darinnen sie sehen mugen, wie gar ein verflucht, schendlich, verzweivelt buch es sey, voller lugen, fabeln und aller grewel, welche die turcken bergen und schmucken [verbergen und beschönigen], und zu warzeichen [zum Beweis] ungern sehen, daß man den alcoran ynn andere spräche verdolmetscht. Denn sie fulen wol, das [dass es] yhnen grossen abfal bringet bey allen vernunfftigen hertzen. [Fußnote 10]Luthers Werke, Weimarer Ausgabe, Briefe Bd. 10, 161 f, Z. 32-39. Vgl. Bobzin, Der Koran im Zeitalter der Reformation (Anm. 6), S. 203.

Hier wird in charakteristischer und für die Folgezeit höchst einflussreicher Weise eine Begründung aus christlicher Sicht dafür geliefert, warum die Muslime in der Regel „Übersetzungen“ des Korans ablehnen: sie seien sich nämlich selbst der „Schwächen“ des Korans nur allzu sehr bewusst. Eine Folge dieser Ansicht ist, dass die christlichen Verfasser der in der Folgezeit hergestellten Koranübersetzungen sich überwiegend bemüßigt fühlen, in Anmerkungen oder ausführlicheren Widerlegungen die vermeintlichen Fehler des Korans aufzuzeigen und gegebenenfalls zu korrigieren. Das umfangreichste Werk, das in diesem Geiste verfasst wurde, sollte die 1698 erschienene arabisch-lateinische Koranausgabe des italienischen Paters Ludovico Marracci (1612-1700) werden. [Fußnote 11]Ludovico Marracci (Ed.), Alcorani textus universus. Ex correctioribus Arabum exemplaribus summa fide, atque pulcherrimis characteribus descriptus, Eademque fide, ac pari diligentia ex Arabico idiomote in Latinum translatus, Appositis unicuique capiti notis, atque refu- tatione, Patavii 1698. Neben dem arabischen Text, einer sehr zuverlässigen lateinischen Übersetzung und Auszügen aus den wichtigsten arabischen Kommentaren, die weitgehend ins Lateinische übersetzt sind, enthält Marraccis Text eine umfangreiche, minutiös auf alle relevanten Streitfälle eingehende Widerlegung (refutatio) auf der Grundlage der katholischen Kirchenlehre.

Mann mit Bart und mit Krawatte ohne Jackett beim Vortrag vor Projektion

Hartmut Bobzin beim Vortrag 2007

Foto: Erich Malter

Dass Pickthalls Kritik an den „feindseligen Kommentaren“ nun zu seiner Zeit keineswegs unberechtigt war, kann man an dem voluminösen Werk Marraccis durchaus zeigen; aber das ist, da auf Lateinisch verfasst, heute nur noch wenigen Spezialisten zugänglich. Und viele der danach erschienenen Übersetzungen, auf die Pickthalls Vorwurf zutreffen mag, spielen im heutigen Diskurs keine Rolle mehr. Freilich findet man auch in Übersetzungen, die heute noch Verwendung finden, gelegentlich Anmerkungen, die den notwendigen Respekt vermissen lassen; als Beispiel sei die Übersetzung von Sure 2,26 genannt. In der noch heute weitverbreiteten Übersetzung von L. Ullmann [Fußnote 12]Lion Baruch Ullmann, 1804-43, war zuletzt Oberrabbiner in Krefeld; er war ein Schüler des Bonner Orientalisten Georg Wilhelm Freytag (1788-1861), dem die Koranübersetzung auch gewidmet ist. In späteren Auflagen erscheint der Vorname „Ludwig“., die erstmals 1840 in Krefeld erschien, wird wie folgt übersetzt:

Fürwahr, Gott braucht sich nicht zu schämen, wenn er Gleichnisse von Insecten und noch Kleinerem nimmt, denn die Gläubigen wissen, daß nur Wahrheit von ihrem Herrn kommt…

Dazu merkt er an: „Hier vertheidigt M. seine oft kleinlichen und der Gottheit nicht würdigen Aussprüche und Reden, die er oft in ihrem Namen vorträgt.“ [Fußnote 13] Der Koran. Aus dem Arabischen wortgetreu neu übersetzt, und mit erläuternden Anmerkungen versehen, von Dr. L. Ullmann, Krefeld 1840, 3 (NB: Die Verse sind in dieser Ausgabe nicht numeriert!). Auf die immer wieder geäußerte Kritik an der schlechten Qualität dieser Übersetzung gehe ich in diesem Zusammenhang nicht näher ein.

In einer von L. W. Winter neubearbeiteten Ausgabe werden sowohl Text wie Anmerkung leicht verändert: „Gewiß, Allah ist nicht zu groß, kleine Gleichnisse von Mücken oder noch Kleinerem zu geben…“ Anmerkung: „Mohammed ,stellt nicht Allahs unwürdige Gleichnisse auf‘. Allahs Walten auch für kleinste Lebewesen findet hier Ausdruck.“ [Fußnote 14]Der Koran. Nach der Übersetzung von Ludwig Ullmann neu bearbeitet und erläutert von Leo W.-Winter, München 91959. Wie man sieht, ist sich Winter der Problematik von Ullmanns Anmerkung durchaus bewusst.

Wichtiger ist der zweite Punkt von Pickthalls Kritik, dass nämlich die die Sprache der Übersetzung oft unangemessen sei. Es wäre eine lange Geschichte, darauf näher einzugehen. Ich beschränke mich daher auf einige Anmerkungen zur ersten lateinischen Übersetzung und zur deutschen Übersetzung von Rudi Paret. [Fußnote 15]Rudi Paret, Der Koran. Übersetzung. Stuttgart u. a. 1962; 21982. Charakteristisch für die alte lateinische Übersetzung [Fußnote 16]S. o. Anm. 9. ist der weitgehend paraphrasierend-referierende Stil, wodurch jegliche direkte Rede entfällt, sowie der Versuch, den „sprunghaften“ Stil des Korans „logischer“ zu gestalten, z. B. durch Umwandlung von beigeordneten Sätzen (Parataxen) in untergeordnete (Hypotaxen), u. ä. Auch ganze Sätze werden ausgelassen, d. h. der Koran wird insgesamt zu einem überraschend kurzen Buch. Ganz anders hingegen Parets Übersetzung. Völlig im Sinn islamischer Übersetzungskonventio­nen im Hinblick auf den Koran schreibt Paret: [Fußnote 17]Wie Anm. 15, S. 2.

Da die Übersetzung – die einem ausgesprochen historischen Verständnis dienen soll – nicht eigentlich für erbauliche Zwecke gedacht ist, sondern ganz einfach darauf abzielt, das Original dem Sinngehalt nach verständlich zu machen, wird von einer gehobenen Ausdrucksweise Abstand genommen […] ln der Wahl des Ausdrucks […] habe ich mir eine gewisse Freiheit genommen, solange der Sinngehalt des Wortlauts deutlich erkennbar blieb. Ausgesprochene Arabismen (oder Semitismen) wie die Vorliebe für Paronomasien, d. h. für die syntaktische Verbindung von Wortformen ein und desselben Stammes sind, so gut es geht, vermieden […].

Obwohl man nun Paret in seiner Arbeit die Redlichkeit nicht absprechen kann, hat er sich stilistisch nicht selten im Ton vollkommen vergriffen, was sowohl von seiten orientalistischer Kritiker als auch von muslimischen Übersetzern moniert worden ist. Um hier nur einen Kritiker zu zitieren:

Was soll man sagen, wenn sich bei der Wiedergabe der koranischen Offenbarung Büro- Deutsch mit harmlos-flapsiger Umgangssprache und süddeutschen Reminiszenzen zu oft ent­waffnender und nicht selten explosiver unfreiwilliger Komik mischt? Gott hat sich ,kein Kind zugelegt’ (Sure 25,2), der Tag des Gerichts ist ,wenn ,die Sache brenzlig wird’ (Sure 68,42) […] Es werden ‚Ränke geschmiedet‘ und ‚Lügen ausgeheckt‘, und in der Hölle wird natürlich ‚geschmort‘. [Fußnote 18]Stefan Wild, Die schauerliche Öde des heiligen Buches. Westliche Wertungen des koranischen Stils, in: Gott ist schön und er liebt die Schönheit. FS für Annemarie Schimmel zum 7. April 1992, Bern u. a. 1994, 429-447, hier 446. Vgl. auch Navid Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Korans, München 1999, bes. Kap. 2.

Ich habe demgegenüber den Versuch gemacht, eine „würdige“ Sprache zu finden, eine gehobene Sprachebene, die das Terrain der Alltagssprache meidet.

Das führt vielleicht zu manchen „Archaismen“, aber ich glaube, dass das gerechtfertigt ist dadurch, dass eben auch der arabische Koran den denkbar größten Abstand zur Alltagssprache hält. Zu einer derart „würdigen“ Sprache gehört vor allem auch die äußere Sprachform. Zu diesem Zweck habe ich versucht, in der deutschen Übersetzung den Text leicht zu rhythmisieren und in einzelne Zeilen aufzuteilen. Ich greife als Beispiel Sure 13, Vers 2 heraus, ein Vers, der uns weiter unten in anderem Zusammenhang noch einmal beschäftigen und dort in der Übersetzung von Paret zitiert werden wird; in meiner Über­setzung lautet der Vers wie folgt:

Gott ist es, der die Himmel aufgerichtet hat,
Ganz ohne Stützen, die ihr sehen könntet;
Dann richtet er sich auf, den Thron einnehmend,
Und machte dienstbar sich die Sonne und den Mond:
Ein jedes läuft bis zu benannter Frist.
Alles hat er in der Hand.
Er setzt die Zeichen auseinander.
Vielleicht seid ihr euch sicher,
Daß ihr begegnen werdet eurem Herrn!

Die Rhythmisierung betrifft dabei auch durchaus die längeren Prosapassagen im Koran. Der Umbruch in Zeilen soll dabei keineswegs eine Art „Re-poetisierung“ bedeuten, sondern ist als eine Art Lesehilfe zu verstehen, und zwar für den lauten Vortrag. Der Koran ist dazu bestimmt, vorgelesen, vorgetragen zu werden. [Fußnote 19]Vgl. Hartmut Bobzin, Der Koran. Eine Einführung, München 52004, 18f; William Albert Graham, Beyond the Written Word. Oral aspects of scripture in the history of religion, Cambridge 1987, bes. Part III: „An Arabic Reciting“: Qur’ān as Spoken Book, S. 79ff. Ziel meiner Übersetzungen ist es, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Da vor allem in den älteren Suren häufig der Reim das entscheidende Stilmittel ist, liegt es nahe, auch in der Übersetzung den Reim zu verwenden, so wie das z. B. Friedrich Rückert in seiner Übersetzung häufiger getan hat. Ich habe mich nur dort dazu entschlossen, wo es ohne größere Schwierigkeiten möglich war, wie z. B. in Sure 81,1—14:[Fußnote 20]Nähere Erläuterungen zum Text gebe ich in diesem Zusammenhang nicht; vgl. dazu das KoranLeseBuch (Anm. 1), S. 79f.

Wenn sich die Sonne zusammenballt,
2 Wenn der Sterne Leuchten verhallt,
3 Wenn die Berge werden bewegt,
4 Wenn hochträcht’ge Kamele nicht mehr gepflegt,
5 Wenn die wilden Tiere zusammenlaufen,
6 Wenn die Meere sind am Überlaufen,
7 Wenn die Seelen werden zusammengeführt,
8 Wenn die Vergrabene wird angehört,
9 Um welcher Schuld sie getötet ward;
10 Wenn die Bücher werden aufgeschlagen,
11 Wenn der Himmel wird abgetragen,
12 Wenn das Höllenfeuer wird angefacht,
13 Wenn der Garten wird nahgebracht:
14 Dann weiß die Seele, was sie vollbracht.

Mann und Frau im Gespräch

Hartmut Bobzin im Gespräch mit Claudia Ott 2007

Foto: Erich Malter

Aber ein weiterer Punkt scheint mir nun von großer Wichtigkeit zu sein, auf den vor allem von Denffer und Hofmann durchaus zu Recht aufmerksam gemacht haben. Man kann ihre Kritik an den bisherigen (christlichen!) Koranübersetzungen dahingehend zusammenfassen, dass gerade das spezifisch reli­giöse Vokabular des Korans bewusst oder unbewusst von biblischen (oder sogar noch späteren) theologischen Konzepten beeinflusst sei. So kritisiert von Denffer völlig zu Recht Paret dafür, dass er gelegentlich für das arabische Wort amr „Sache, Angelegenheit, Befehl“ in seiner Übersetzung das griechische Wort logos verwendet, z. B. in Sure 13,2;

Gott ist es, der die Himmel, ohne daß ihr (irgendwelche) Stützen sehen würdet, emporgehoben und sich daraufhin auf dem Thron zurechtgesetzt hat (um die Welt zu regieren). Und er hat die Sonne und den Mond in den Dienst (der Menschen) gestellt – jedes (der beiden Gestirne) läuft (seine Bahn) auf eine bestimmte Frist. Er dirigiert (von seinem Thron aus?) den Logos. Er setzt die Zeichen (oder: Verse) auseinander. Vielleicht würdet ihr euch davon überzeugen lassen, daß ihr (dereinst) eurem Herrn begegnen werdet.

Mit dem Wort logos wird auf ein bestimmtes theologisches Konzept im Johannesevangelium angespielt, das im Koran m. E. nicht nachzuweisen ist. Viel einfacher und plausibler ist hier die Übersetzung: „Er lenkt alle Dinge“ (Henning) oder „Er lenkt den Gang der Dinge“ (Rückert) oder „Er hat alles in der Hand“ (Bobzin).

Ebenso problematisch ist die Übersetzung „Heiden“ (Paret) oder gar „Polytheisten“ (Khoury) für das im Koran so häufige und charakteristische Wort mušrik. Folgt man der genauen Verwendung des Wortes (mit seinen zugehörigen Verbalformen) im Koran, so wird Folgendes klar. An einer Stelle (Sure 20,32) heißt es von Mose, dass er Gott bittet, ihm Aaron in seiner Sache als „Gefährten“ an die Seite zu stellen. Ein mušrik ist demnach jemand, der Gott einen (mehr oder weniger gleichrangigen) Gefährten gibt. Nach dem koranischen Wortgebrauch ist es jedoch keineswegs ausgemacht, dass nur die Anhänger der altarabischen paganen Religion mušrikūn waren – auch auf die Christen kann dieser Terminus Anwendung finden. Von daher erscheint es evident, dass weder „Heide“, noch „Götzendiener“ noch „Polytheist“ glückliche und zutreffende Übersetzungen sind.

Was schließlich die Übersetzung des Wortes Allāh betrifft, so bin ich der Meinung, dass man es unbedingt mit „Gott“ wiedergeben muss, [Fußnote 21]Vgl. zur näheren Begründung KoranLeseBuch (Anm. 1), S. 36. um den religionshistorischen Zusammenhang der drei monotheistischen Religionen deutlich zu machen, so wie es übrigens auch eine Stelle im Koran klar fordert (29,46):

Und streitet mit den Buchbesitzern nur auf die schönste Art,
Doch nicht mit denen, die von ihnen freveln.
Und sprecht:
Wir glauben an das, was auf uns herabgesandt,
Und was auf euch herabgesandt.
Und unser Gott und euer Gott ist einer.
Und ihm sind wir ergeben.

Nicht nur in diesem Vers, sondern auch an vielen anderen Stellen im Koran ist von den „Buchbesitzern“ (arab. ahl al-kitāb) nicht nur die Rede, sondern sie werden auch direkt angesprochen. Damit sind stets Juden und Christen gemeint. Deren Schriften werden im Koran gleichsam als bekannt vorausgesetzt. Eine Koranübersetzung muss daher die biblischen und außerbiblischen Quellen unbedingt berücksichtigen [Fußnote 22]Anders Ahmad von Denffer im Vorwort zu seiner Koranübersetzung (Anm. 4), S. XXXIV. und sorgfältig die Fragen der jeweiligen Differen­zen ab wägen.

[Fußnote 23]Das ist die erklärte Absicht von Paret. Die zahlreichen in Klammern gesetzten Textergänzungen geben aber vielfach die Ansichten späterer Ausleger wieder.Nur mit wenigen Worten kann ich auf die wichtige Frage eingehen, was ich eigentlich übersetzen will; das ursprünglich Intendierte, oder aber den „Sinn“, den die späteren, klassischen Ausleger im Koran fanden? Das ist wohl die schwierigste Frage, vor der ein Koranübersetzer steht. Denn kein einziger Kommentar (arab. tafsīr) aus der umfangreichen tafsīr [Fußnote 24]Vgl. dazu das klassische Werk von Ignaz Goldziher, Die Richtungen der islamischen Koranauslegung, Leiden 1920. Vgl. ferner die neueren Übersichtsartikel zu diesem Thema im Grundriß der arabischen Philologie und in der Encyclopaedia of the Qur’ān.-Literatur erschließt den „ursprünglichen“ Sinn, welcher vielmehr mühsam mittels eines viele Quellen berücksichtigenden kombinatorischen Verfahrens erschlossen werden muss, ohne dass dies immer gelingen kann. Hier ist der ganze Reichtum der islamischen Kommentarliteratur m. E. noch nicht ansatzweise berücksichtigt. Es sind dabei übrigens nicht unbedingt die ältesten Kommentare, die das Originellste oder Beste bieten; auch viele spätere, ja sogar ziemlich rezente Kommentare bieten immer wieder eine Fülle bedenkenswerter Interpretationsansätze.

Ein weiterer durchgehender Mangel bisheriger Koranübersetzungen ist die fehlende systematische Berücksichtigung der verschiedenen Texttraditionen (bzw. „Lesarten“, arab. qirā’āt [Fußnote 25]Vgl. dazu Bobzin, Koran (Anm. 19), S. 111ff.) des Korans. Ich nenne dafür zwei Beispiele. In Sure 1, Vers 4 heißt es in der heute meistverbreiteten Koranausgabe, die 1923 in Kairo erschienen ist, māliki yaumi d-dīni „des Herrschenden am Tag des Gerichts“. In der in den Maghrebländern noch heute lebendigen Texttradition heißt es hingegen: maliki yaumi d-dīni „des Königs am Tag des Gerichts“. Für beide Textauffassungen lassen sich gewichtige Argumente auffuhren. „König“ ist m. E. sowohl konkreter als auch bildlich passender. Ein anderes Beispiel ist der Schluss von Sure 85. Dort heißt es in Vers 21f nach dem Kairiner Text: bal huwa qur’ānun maǧīdun | fī lauhin mahfūzin; Paret übersetzt: „Nein! Es ist ein preiswürdiger Koran (was hier verkündet wird) | (im Original droben im Himmel?) auf einer wohlverwahrten Tafel“. Die maghrebinische Tradition liest das letzte Wort mahfūzun (statt mahfuzin), das dadurch zum Prädikat wird (statt eines Attributes), so dass man übersetzen muss: „Nein! Es ist ein rühmenswerter Vortrag, | der auf einer Tafel aufbewahrt ist.“ Hier ist der Bedeutungsunterschied nicht mehr nur eher stilistischer Art, sondern könnte auch dogmatische Konsequenzen haben. Die zu ziehen, ist allerdings nicht die Aufgabe eines Koranübersetzers.

Zusammenfassung

2005 erschien mein KoranLeseBuch. Wichtige Texte neu übersetzt und kommentiert (Freiburg: Herder). Marmaduke Pickthall, der erste englische Muslim, der den Koran in seine Muttersprache übertrug (1930), kritisierte an den nicht-muslimischen Vorgängerübersetzungen vor allem die „unwürdige“ Sprache. Ich habe den Versuch gemacht, eine „wür­dige“ Sprachform zu finden, eine gehobene Sprachebene, die das Terrain der Alltagssprache meidet (was Paret z. B. nicht tat!). Das führt vielleicht zu manchen „Archaismen“, aber ich glaube, dass das gerechtfertigt ist dadurch, dass eben auch der arabische Koran den denkbar größten Abstand zur Alltagssprache hält. Was die künstlerischen Mittel betrifft, so habe ich nur ausnahmsweise versucht, z. B. den Reim nachzuahmen (etwa in Sure 81, 1-14 oder Sure 96, 1-5). We­sentlicher war mir, die Sätze zu rhythmisieren. Dabei muss man den Mut haben, die z. T. langen und kompliziert konstruierten Sätze des Arabischen zu „umbrechen“, sie aber gleichwohl als ganze schwingen zu lassen. Was übersetze ich? Den „Sinn“ der Späteren, oder das ursprünglich Intendierte? Das ist wohl die schwierigste Frage, vor der ein Koranübersetzer steht. Kein einziger Kommentar aus der umfangreichen Tafsir-Literatur erschließt den „ursprünglichen“ Sinn, der muss mühsam mittels eines viele Quellen berücksichtigenden kombinatorischen Verfahrens erschlossen werden. Hier ist der ganze Reichtum der islamischen Kommentarliteratur m. E. noch nicht ansatzweise berücksichtigt. Der Koran richtet sich an vielen Stellen an die „Leute des Buches“. Deren Schriften werden gleichsam als „bekannt“ vorausgesetzt. Eine verantwortliche Koraninterpretation muss daher die biblischen Quellen unbedingt berücksichtigen und sorgfältig die Fragen der jeweiligen Differenzen abwägen. Und letztens muss die zu benutzende religiöse Terminologie beachtet werden. Wie ist sie in eine Sprache zu übersetzen, die nicht vom Islam geprägt ist? Ist „Allah“ mit „Gott“ zu übersetzen oder nicht? Diese und manch andere Fragen sind in diesem Zusammenhang zu erörtern.