übersetzt von Wolfgang Tschöke

Bildnis in Öl von François Rebelais, eines Mannes Mitte 40 mit gestutztem Vollbart und Hut.

François Rabelais (anonymes Porträt aus dem 17. Jahrhundert)

Quelle: Wikipedia

Einige Tage später, als er sich erholt hatte, sah er sich die Stadt an und wurde von aller Welt groß angestaunt, denn das Pariser Volk ist so einfältig, so maulaffig und albern von Natur, daß ein Gaukler, ein Ablaßkrämer, ein Maultier mit seinen Schellen, ja ein Leiermann auf der Gasse mehr Leute zusammenbringt als ein rechter Evangelienprediger.

Sie rückten ihm so zudringlich auf den Leib, daß er sich auf die Türme der Notre-Dame-Kirche zurückziehen mußte. Wie er nun da saß und die vielen Leute um sich herum sah, sagte er laut und vernehmlich: „Ich glaube gar, diese Unflate wollen, daß ich ihnen hier mein Willkomm und mein proficiat entbiete. Das ist recht und billig. Ich werde ihnen einen Wein ausgeben, und zwar par Ries’.“ Damit nestelte er lachend seinen schönen Hosenlatz auf, zog seine Metula an die Luft und bepißte sie so derb, daß er damit ihrer zweihundertsechzigtausendvierhundertundachtzehn wegschwemmte, ohne Frauen und kleine Kinder. Einige von ihnen entrannen dieser Pißflut durch die Flinkheit ihrer Beine, und als sie schwitzend, hustend, spuckend und außer Atem die höchste Stelle bei der Universität erreicht hatten, da begann das Fluchen, und Lästern, die einen im Zorn, die andern per risum: „Bei des Heilands Malen! Ich fluche Gott, beim Blute Christi, schau dir das an! Ah, Modder Mareien! Po cab de bious! Dasz dich Gots leyden schend! Pote de Christo! Beim heilgen Wampius! Kreuzelement! Heilger Fiaker von Brie! Damned, holy Ringan! Sankt Theobald gelob ich’s! Lamm Gottes! Beim Tag des Herrn! Hol mich der Teufel! Aufs Wort eines Edelmanns! Beim heilgen Lustwurstl! Heilger Chrodegang, mit Bratäpfeln gesteinigt! Beim heilgen Apostel Fotzinus! Heilger Ficktor! Scharymary, Scharymara! Heilix Liebchen, da sind wir ja schön berieslingt worden, ha, Possen und ein paar Risz! – Pah!! Ries’!!“

Seither die Stadt Paris genannt wurde, die früher Leuketia hieß, wie Strabo berichtet, lib. iiij, was auf Griechisch Weißstadt ist, wegen der weißen Schenkel ihrer Frauen. Und gleichwie bei dieser neuen Namensgebung, jeder auf die Heiligen seiner Kirchgemeinde fluchte, sind die Pariser, bunt zusammengeflickt aus allen möglichen Ecken und Enden, von Natur aus ganz verfluchte Injuristen so wie verflucht gute Juristen und auch ein wenig eigendünkelig. Daher meint ja Joaninus von Barranco in seinem Libro de copiositate reverentiarum, daß sie auf Griechisch Parrhesier, das ist Zungendrescher, heißen.

Hiernach betrachtete er die großen Glocken in besagten Türmen und ließ sie schön melodisch läuten. Dabei kam ihm in den Sinn, daß sie gut als Weiheglöckchen am Hals seiner Stute dienen könnten, die er seinem Vater, beladen mit Briekäse und frischen Heringen, heimschicken wollte. So nahm er sie denn mit in seine Herberge.

Unterdessen kam ein Schinkanier-Komtur vom Sankt-Antons-Orden auf seiner Schweinereikollekte vorbei, der sie heimlich wegholen wollte, damit man ihn schon von weitem hörte und der Speck im Pökelfaß erzitterte. Aber dann ließ er sie anstandshalber doch stehen, nicht etwa, weil sie zu heiß gewesen wären, sondern ein klein wenig zu schwer zum Wegtragen. Es war aber nicht der von Bourg, denn das ist ein zu guter Freund von mir.

Die ganze Stadt geriet darüber in Aufruhr, wozu die Pariser ja, wie ihr wißt, nur allzu leicht neigen, so daß sich die andern Nationen angesichts der Übelstände, die alle Tage daraus entstehen, über die Langmut oder besser gesagt die Lauheit der Könige von Frankreich verwundern, die sie nur durch milde Gerichtsbarkeit im Zaum halten. Wollte Gott ich wüßte, wo die Werkstatt ist, in der all dieser Aufruhr und diese Verschwörungen geschmiedet werden, um zu sehen, ob ich dort nicht ein paar hübsche Verfluchschriften anbringen könnte!

Ihr könnt mir glauben, der Ort, an dem all dies verbaste und rappelige Volk zusammenlief, war die Sorbonne, wo sich damals – jetzt ja nicht mehr – das Orakel von Leuketia befand. Da wurde der Fall vorgebracht und die mißlichen Folgen wegen der entwendeten Glocken erwogen. Nachdem sie nun das Für und Wider mit vielen Wenns und Abers hin und her erörtert hatten, kam man mittels Baralipton zum Schluß, den Ältesten und Fähigsten der theologischen Fakultät zu Gargantua zu schicken, ihm den schrecklichen Mißstand dieses Glockenverlustes darzulegen. Und ungeachtet des Einspruchs einiger von der Universität, die vorbrachten, diese Aufgabe komme eher einem Redner zu als einem Theologen, wurde zu diesem Geschäft Magister Unser, Janotus von Bragmardo, bestimmt.