Die Seele in einen anderen Körper locken
von Monika Rinck
Echoprobe im Schallraum Erstlektüre – Die reine Resonanz Hm. Treibt die Wände weiter an die Wand – Hören Sie auf diese Stimme – FELT SENSE – Hm – Das kann er nicht meinen – Genau das meint er – FELT SHIFT – Glück – Missglück – Gehen Sie hinter die Deutung zurück – Hören Sie auf diese Stimme – Der aufgewirbelte Grund. Wir machen es so – Wiederholung – Ein schlafloser Traum. – Keine Wette zahlt sich aus. – Rekonstruktion – Glück – Bias-Control ON – Macht es Euch fremd. – Macht es beizeiten zu Ende. – Macht es nicht zu Ende – Seht es Euch nie wieder an. Ah!
Zum Geleit
Wenn es stimmt, dass Übersetzen eine Grundkonstante menschlicher Erfahrung ist, sind wir bald in einem Raum, so groß, dass sich jede Analyse darin verliert. Kontinente finden darin Platz. Zu seiner Begrenzung: Ich möchte sprechen über Aufmerksamkeit, über die Translation-Trance [Fußnote 1]Ich verwende den Begriff der Translation-Trance analog dem Begriff der ciné-trance, wie ihn Jean Rouch eingeführt hat: „Im Zustand der ciné-trance gelingt es dem Filmemacher-Ethnologen, sich dem Zustand der Besessenheit anzunähern: der Tanz mit der Kamera, der partizipierenden Kamera (im cinema verité), die „genauso lebendig wird, wie die Leute, die sie filmt“; hebt die Trennung zwsichen ihm und den Gefilmten auf, und er nimmt teil am Geschehen, am Ritual, das er filmt.“ (So Heike Behrend-Engelhardt) Jean Rouch beschrieb es folgendermaßen: „Dann (bei großer Körperbeherrschung, M.R.) vermag der Kameramann-Filmemacher wirklich, ohne den Zoom zu gebrauchen, seinem Gegenstand gerecht zu werden, einem Tänzer, Priester oder Handwerker vorauszugehen oder zu folgen. Er ist jetzt das „mechanische Auge“, das von einem „elektronischen Ohr“ begleitet wird. Diesen fremdartigen Zusant der Umwandlung, in dem sich der Filmemacher dann befindet, habe ich in Analogie zu dem Phänomen der Besessenheit als ‚ciné-trance‚ bezeichnet.“
Aus: Jean Rouch. Freunde der Deutschen. Kinemathek, Heft 56. Übersetzt und herausgegeben von Heike Behrend-Engelhardt. Berlin 1978. Seite 1 und Seite 12., das Einsinken des Fremden, über Gedichte, geteilte Vergleiche, freundliche und feindliche Übernahmen des Psychischen Apparats, Pferdewetten, das Glück und das Ende (letztere in umgekehrter Reihenfolge).
Und wachte morgens auf, schaute auf das Fenster und dachte, irgendwas stimmt mit dem Rahmen nicht, der Rahmen reimt sich nicht – und das Licht! Das Licht kommt in viel zu langen Zeilen! Das geht so nicht. Dann war ich endlich wach. Das vor einigen Jahren, kurz vor dem Abgabetermin eines über weite Strecken gereimten Versdramas, das Orsolya Kalász und ich gemeinsam aus dem Ungarischen übersetzten.
Were one not to wake! Wär kein Erwachen!
Were there to be no other Wär da keine andere
world into which to. Welt in die hinein.
So Eve Kosofsky Sedgwick [Fußnote 2]Eve Kosofsky Sedgwick: A Dialogue on Love. Boston 1999. Seite 96., in ihrem Buch „A Dialogue on Love“ – einem von Haikus durchsetzten Bericht ihrer Psychoanalyse. No other world into which to. Jeden Morgen liege ich im Übergang, übersetze mich zurück in den Tag. Schon dringt der Traum ins Wort. „Wenn aber selbst wortgewandte Wesen“; schreibt Christoph Türcke in der „Philosophie des Traums“, „gelegentlich die Erfahrung machen, dass ihre Worte an das, was sie geträumt haben, nicht entfernt heranreichen, wie mühselig hat da der Homo Sapiens auf seinem langen Weg vom Stammeln zum Sprechen erst einmal lernen müssen, Träume als Träume zu benennen.“ [Fußnote 3]Christoph Türcke: Philosophie des Traums. München 2008. Seite 86. Denn Träume seien Individualität avant la lettre: Alle träumen, doch jeder träumt für sich. Mir hat geträumt, und es war fremd in meinem Kopf. Der Traum als primitive Gedankenbildung, sagt Freud, ist bereits eine Übersetzung des Formlosen in eine bildhafte Form, in einen manifesten Inhalt, für den die Traumarbeit, die nichts anderes ist als innere Rücksicht auf Darstellbarkeit, verantwortlich zeichnet; ein Traum, dessen latenter Inhalt darauf wartet, von der analytischen Deutungsarbeit entfaltet zu werden. Textdurchquert. Blick nach links, Blick geradeaus auf den Bildschirm. Ein Murmeln ist zu hören, das „Ausmurmeln eines einzigen widerspenstigen Satzes“. Augen und Finger. Blättern. „Ein herausgemurmelter Abschnitt, kürzer als ein Hühnerschnabel.“ [Fußnote 4]Andrej Bely: Wie wir schreiben, in: Die Lachküche. Übersetzt u.a. von Schroeder, Mirau, Honig, Huppert. Leipzig und Weimar 1981. Seite 15. Blättern. 1896 schreibt Freud an Fließ: „Die Versagung der Übersetzung, das ist das, was klinisch ‚Verdrängung‘ heißt. Motiv derselben ist stets eine Unlustempfindung, die durch Übersetzung entstehen würde, als ob diese Unlust eine Denkstörung hervorriefe, die die Übersetzungsarbeit nicht gestattet.“ [Fußnote 5]Freud an Fließ in einem Brief vom 16. Dezember 1896, zitiert nach: Christiaan L. Hart. Nibbrig: Übergänge. Versuch in sechs Anläufen. Frankfurt Main 1995. Seite 198. Wir sehen, der Begriff der Übersetzung ist von Anfang an virulent. Es geht um die Umschrift des Bilderstroms. Stumme Symptome, nachdrückliche, entstellte Bilder – sie zu heilen, heißt sie zu deuten, kraft einer Deutung, die ich akzeptieren kann. Es braucht ein Bündnis, um Denken ins Leben zu rufen – den psychoanalytischen Vertrag. Heilung meint dann, dass die Gedankenbildung nachgeholt wird. (Nebenbei gesagt: Ohne Sympathie keine Heilung, wir kommen darauf zurück.) Einstweilen halten wir fest: Das Nachholen der Gedankenbildung in einer anderen Sprache.
Gedichte, vor ihrer Übersetzung
To get the news from poems [Fußnote 6]„It is difficult / to geht the news from poems / yet men die miserably every day / for lack / of what is found there“ – heißt es in einem vielzitierten Gedicht von W.C. Williams: Asphodel, That Greeny Flower. – das Gedicht hat eine andere Resonanz als die Nachricht. Dass es keine Vorstellung gibt ohne Bildgehalt, ohne einen vorbegrifflichen Rückstand, oder sagen wir mit Walter Benjamin, Worte, die einen Gefühlston mit sich führen – ist eine Vorbedingung lyrischer Rede. Wenn Christoph Türcke von einem „verschwindenden Wahrnehmungsrest in der Vorstellung“ spricht, „(der) ihr halluzinatorischer Funke (ist), der sie sowohl anzündet als auch in ihr verglimmt,“ [Fußnote 7]Christoph Türcke: Philosophie des Traums. München 2008. Seite 82. dann könnte er auch von der überschreitenden Mehrdeutigkeit einer poetischen Bildung sprechen. Das tut er aber nicht, er spricht von frühen Träumen, deren Deutung – und die erste Deutung vollzieht sich bereits, wenn das Traumgeschehen in Worte zu gefasst wird – für Linderung sorgen soll. [Fußnote 8] „Die Deutung eines Traumes zerfällt in zwei Phasen, die Übersetzung und die Beurteilung oder Verwertung desselben. Während der ersten soll man sich durch keinerlei Rücksicht auf die zweite beeinflussen lassen. Es ist, wie wenn man ein Kapitel eines fremdsprechigen Autors vor sich hat, z.B. des Livius. Zuerst will man wissen, was Livius in diesem Kapitel erzählt, erst dann tritt die Diskussion ein, ob das Gelesene ein Geschichtsbericht ist oder eine Sage oder eine Abschweifung des Autors. (..) Man vergisst zu leicht, dass ein Traum zumeist nur ein Gedanke ist wie ein anderer, ermöglicht durch den Nachlass der Zensur und die unbewusste Verstärkung und entstellt durch die Einwirkung der Zensur und die unbewusste Bearbeitung.“
Sigmund Freud: Zur Theorie und Praxis der Traumdeutung. Schriften zur Behandlungstechnik, Bd X. Seite 262. Talking Cure. Die Talking Cure unterwirft das Bild einer Grammatik des Denkens – und häufig ist gerade das Einfachste, sobald es um seine Übersetzung geht, nicht das Einfachste. Das Bild sagt immer: Ja. Es kann nicht anders. Was es verneint, ruft es auf, um es zu verneinen. Doch welche Stelle nimmt es ein, wo will es hin? Freud beschreibt die verdichtenden und verschiebenden Mechanismen der Traumarbeit, als befände er sich gegenüber Caspar David Friedrichs berühmten Gemälde „Gescheiterte Hoffnung“: „Wenn dann die ganze Masse dieser Traumgedanken der Pressung der Traumarbeit unterliegt, wobei die Stücke gedreht, zerbröckelt und zusammengeschoben werden, etwa wie treibendes Eis, so entsteht die Frage, was aus den logischen Banden wird, welche bishin das Gefüge gebildet hatten. Welche Darstellung erfahren im Traum das „wenn, weil, gleichwie, obgleich, entweder-oder“ und alle anderen Präpositionen, ohne die wir Satz und Rede nicht verstehen können.“ [Fußnote 9]Sigmund Freud: Die Darstellungsmittel im Traum, in: Traumdeutung. Frankfurt am Main 1961. Seite 260.
Ach, wollt ich Ihnen sagen, wo wir uns befinden, ich wüsst es nicht. Sind diese fraglichen Konjunktionen nicht ähnlich den von Inger Christensen den Dichtern zur Liebe angetragenen Wörtern, die Teile eines Relationsnetzes zwischen allen existierenden Phänomenen, den Formen der Natur sind, „weil nämlich sie, fast unbillig unsichtbar, wie sie sind, das Bewusstsein in derselben Art von Bewegung halten wie die Welt.“ [Fußnote 10] Inger Christensen: Der Geheimniszustand, in Der Geheimniszustand und das ‚Gedicht vom Tod. Übersetzt von Hanns Grössel. München 2000. Seite 55f. Im dreidimensionalen Raum, in den Weiten der Vorstellung und dem Raum, der als „‚unmarked space‚ entsteht, wenn ein ‚marked space‘ abgetrennt wird.“ [Fußnote 11]Vgl. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1995. Seiten 50ff. Das Gedicht setzt seinen Kontext voraus, aber es muss ihn nicht mitbringen. Interessant wird es, wo es schwierig wird. Ist nicht das Einfache, Selbstgenügsame (Geizige, könnte man auch sagen), und in jüngster Zeit wieder so viel Gelobte, weitaus erschöpfender als das, was sich entlang waghalsiger Gelenke von einer Welt in die andre bewegt? Ich will nicht lesen von Tisch, Lampe, Papier, Wein, Tod und Brot. Das haben wir selbst – as we speak! Nicht jene Häuslichkeit. Etwas, das sich nicht von mir entfernen will, etwas das willig (weder willenlos noch mutwillig, sondern einfach nur willig) abgefasst worden ist – etwas wozu man keine Trance braucht, es zu verstehen, wozu das noch übersetzen? Hä?? Wo man nicht das Eigene hinzueilen lassen muss, in einem Zustand bewegter und gelöster Aufmerksamkeit, eingeladen in jenen prekären Raum, in dem man nicht genau weiß: ist das noch Repräsentation oder bereits Halluzination. Eine interessante Frage, in der wir schließlich geschult sind – und es werden, jede Nacht aufs Neue. Das Bewusstsein übersetzt sich in Nachthandlung und wieder zurück, zwei korrespondierende, aber keineswegs identische Systeme, verbunden durch das Gelenk (inter-pretario) der Deutung. „Allemal geschieht Deuten system-transzendent. Die Überschreitung des Systems ist das Wesen des Deutens, sie ist auch dessen Bedingung. Was sich als system-immanentes Deuten anpreist, ist dagegen risikoloses, am Ende sinnleeres, weil unverbindliches Divertieren.“ [Fußnote 12]„Für den Wert misst man den Preis (pretium) und zahlt – systemtranszendet – mit einer angemessenen Münze. Der das tut, der inter-pres, ist ein Vermittler, der sich, wenn es um Deutung göttlicher Worte geht, als presbyter, Brückenschläger (pontifex), als System-Überschreiter und -Vermittler zwischen zwei Instanzen sieht.“ Aron Ronald Bodenheimer: Warum? von der Obszönität des Fragens. Stuttgart 2004. Seite 17.
Monika Rinck 2007
Foto: Georg Pöhlein
Alle unter Hypnose
Diese Gedichte wurden unter Hypnose übersetzt. Ein guter Freund schrieb mir von einem Gespräch mit John Ashbery, (der seinerzeit in Paris unter dem Namen Jonas Berry, der direkten Umschrift der französischen Aussprache seines Namens, zum Gelderwerb französische Thriller ins Englische übersetzt hatte) – – von einem Gespräch also, in dem er Ashberys Martory-Übersetzungen [Fußnote 13]Die betreffenden Bände in Ashberys Übersetzung. Pierre Martory: The Landscapist. 2008. ders.: Every Question but one. 1990. Ders.: The Landscape is behind the door, 1994. bewunderte: „Ashbery, in response to my flattery: „I can translate him faster than I can type.“ Ich kann ihn schneller übersetzen, als ich tippen kann, und der Übermittler setzte noch hinzu, voller Demut habe Ashbery das gesagt (said humbly). Ich nehme an, das wird er unter Hypnose getan haben. THESE ARE THE FACTS AND I HAVE DREAMED THEM. Die gedämpfte Methode.
Auf die Zeilen starren: Sehe ich das, was mir das Sehen verstellt – oder sehe ich bereits erste Energien einer Richtung auf etwas zu? Ein rein rezeptives Medium, stelle ich mir vor, ein textempfindliches Papier, so wie man in der Fotografie von lichtempfindlichen Papieren spricht, nur dass jene Gebilde und seien es Worte, die im Begriff sind, darauf zu entstehen, ohne mein Zutun nicht genau zu erkennen wären. Es entsteht etwas um ein Verb herum: to eat. Aber: Vertilgen sie oder verzehren sie? Verspeisen sie, essen sie, kosten sie? Schlingen sie? Was tun sie?
Ich habe ihm, dem Text, zwei Wochen lang all meine Sensibilität unterstellt, ich habe sie ihm in Dienst gestellt, oder habe ich nichts andres als Unterstellungen gemacht? Reverberate: Bis du nicht mehr weißt, welche Stimme aus dir spricht. Ich biete mich dir an, als Resonanz. Du bietest mir dich an, als Korrektiv. Moment, wir brauchen je eine von beiden. Eine von dort, wo die Wanderung losgeht, und eine von dort, wo sie hingeht. Wir brauchen zwei. (Die teilen sich das Honorar, es wird nicht mehr. Der Text wird besser.) Das führt uns zum: DÉLIRE À DEUX plus TEXT. Orsolya Kalász und ich haben in langen Stunden gemeinsamen Übersetzens gelernt: Man soll keine Gedichte übersetzen, für die man nicht zumindest eine Spur Sympathie aufbringt. Wobei es auch eine Sympathie im Widerstand geben kann, eine Bindung in mitempfundener Abwehr, eine Nähe in der Negation. Ob diese Formen des Mitseins dann im strengen Sinn noch unter Sympathie zu subsumieren sind, möchte ich vorerst dahingestellt lassen, ich meine aber schon, nimmt man den „pathos“-Anteil des Wortes: Missgeschick, Leid, Gemütsbewegung, Leidenschaft mit in den Blick. Übersetzend wird man in fremden Köpfen sein, wo es vielleicht etwa so aussieht, wie Philip Larkin es sich ausmalt, in seinem Gedicht „If my Darling were once to decide“ [Fußnote 14]Philip Larkin: Collected Poems. New York 1983. Seite 72., wenn die Liebste einmal nicht an den Augen haltmachte, sondern geradewegs in den Kopf hineinspringen und dort weder Tisch noch Stuhl, keine Mahagony-Sideboards mit Klauenfüßen und auch keine unversehrte Kaminglut vorfinden würde – nun, das wäre verkraftbar – (ich referiere weiter) dafür aber kriechende Lichtwechsel von Affenbraun nach Glitschiggrau, infektiöse Kreise, herumlungernde Rüpel, kurz vor dem Gerinnen, Wahnvorstellungen, pilzige Böden ungesund wie eine Grabesdecke, eine griechische Statue, der man in die Eier getreten hat, das unaufhörliche Hersagen des Faktischen, beladen mit technischen Termini, doppeltgedottert mit Bedeutung und deren Abwehr, heulende Berichte, die den Zusammenhalt der Welt aufzulösen im Stande sind, Unwiederbringliches und Zukünftiges, furchtbar in seiner Neutralität – das könnte einen flinken Kreisel bei Gelegenheit schonmal zu Boden gehen lassen. Kawatz. Wir aber sind Schlimmeres gewohnt.
Es beginnt bei der Durchdringung des Fremden. Aus allen Poren dringt ihm der Verrat (hat Freud gesagt). Noch das hermetischste Gedicht ist ungemein verräterisch, was die Obsessionen seines Autors angeht, jedenfalls sobald sich zwei Übersetzerinnen mehrere Tage lang darüberbeugen. Sage keiner, dass das keine Wirkungen auf die eigene Psyche zeitige. Der Dichter und Übersetzer Anselm Hollo antwortete in einem Interview auf die Frage nach dem Vorgang selbst: „I remember some words by Paul Blackburn to the effect – that when you are ‚in‘ a translation, working on it, you put yourself in a trance, an active (actor’s) trance.“ (…dass man, wenn man ‚an‘ oder ‚in‘ einer Übersetzung arbeite, sich in eine Trance, eine aktive Schauspieler-Trance versetze). [Fußnote 15]Anselm Hollo on translation: an interview with Edward Foster from Talisman #6. Zitiert nach: http://www.durationpress.com/authors/hollo/holloint.htmlManchmal dachten wir: Das, was während dieser Trance gesprochen wird, sollte man eigentlich aufzeichnen und dem Dichter (es waren eigentlich immer Dichter, sehr, sehr selten auch Dichterinnen, deren Übersetzung man uns in Auftrag gab), denen also, als therapeutische Tonspur überlassen. Unbezahlbar.
Das Ganze ähnelt entfernt einer Wiederaufführung des ursprünglichen Schreibprozesses, vielleicht auch als Farce. Wir kommen dem Gedicht aus der anderen Richtung entgegen, der Übertragungsraum wird zum Klangraum, zum Versuchslabor, wir ein Spielstätte der Nachträglichkeit und „Tummelplatz, auf dem“, ich zitiere grob aus einem anderen Zusammenhang, „ihm gestattet wird, sich in fast völliger Freiheit zu entfalten, und auferlegt ist, uns alles vorzuführen, was sich an pathogenen Trieben in (seinem, MR) Seelenleben (..) verborgen hat.“ [Fußnote 16]Sigmund Freud: Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten, in: Schriften zur Behandlungstechnik. Ergänzungsband zur Studienausgabe. Frankfurt am Main 1994. Seite 214- Letzteres ein Satz aus Freuds Aufsatz: „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ – klingt das nicht vertraut? Die Frage ist, wohin man gehen muss, bis man sich in der Mitte trifft. Doch es gibt diese Mitte nicht. Wir müssen sie je neu erschaffen.
An den Anfang zurück: Entschaffung
Die Psychoanalyse nimmt auseinander, zerlegt, möglichst ohne die Teile zu beschädigen und vertraut auf die Macht der Rekonstruktion – als ein Prinzip produktiver Konstruktion, und sie tut dies mit der Psyche, das heißt, mit der Seele, die in einem nicht geklärten Verhältnis zum Körper steht, in dem sie über die Jahrtausende als Gast, als Geisel, warum nicht auch als Eindringling oder Einbrecher verstanden worden ist. Freud bestimmt die Psyche von vornherein als Körperpsyche: „Psyche ist nur ein anderer Ausdruck für den Körper: einer der ihn unter dem Gesichtspunkt seiner Leidens- und Sprachfähigkeit begreift.“ [Fußnote 17]Klaus Heinrich: psychoanalyse. Dahlemer Vorlesungen Bd. 7. Frankfurt am Main und Basel 2001. Seite 90. Erlauben Sie mir eine Variation: Es ließe sich sagen, dass sich die Übersetzung dem Text nähert, indem sie ihn auch unter dem Gesichtspunkt seiner Leidens- und Sprachfähigkeit, das heißt, seiner Körperlichkeit, begreift. Es gibt keine Bedeutung, ohne die Möglichkeit, unter ihr zu leiden. Es gibt den Sinn nicht ohne das Gestische, ohne das Klangliche des Textes. Und genau daran heißt es, sich jetzt zu schaffen zu machen. Rosmarie Waldrop schreibt in einem sehr schönen Essay zur Praxis der Übersetzung, der den Titel „The Joy of the Demiurg“ trägt, dass Übersetzen sich nicht in harmlose Bilder fassen ließe, etwa als wolle man Wein von einer Flasche in eine andere gießen. „Translating is more like wrenching a soul from its body and luring it into a different one. It means killing.“ [Fußnote 18]Rosmarie Waldrop: The Joy of the Demiurg, in: Dissonance (if you are interested). Alabama 2002. Seite 138. In diesem Aufsatz macht sie auch der chauvinistischen Redensart, dass Übersetzungen wie Frauen seien, entweder schön oder treu, ein für allemal den Garaus: als könne man einem Gedicht treu sei, indem man auf hässliche und dumpfe Art wiedergibt, was es sagt..“which assumes that one could be ‚faithful‘ to a poem by rendering ugly or dull what it ’says‘.“ Übersetzung gleicht vielmehr eine ihrem Körper entrissene Seele in einen anderen Körper zu locken. Es bedeutet zu töten. Dem aber schließt sich ein Versprechen an: Ich mach dich wieder heil. Freilich bleibt das eigentliche Original in seiner natürlichen Umgebung unangetastet, (nun ja, bis auf die Übersetzungen, die sich so sklavisch an die formalen Vorgaben des Originals halten, dass es darüber zweifelhaft wird, ob dieses Gedicht überhaupt je eine Übersetzung wert gewesen ist.) [Fußnote 19]Ich denke da beispielsweise an den Attila-Jozsef-Band aus dem Ammann-Verlag. Aber halten wir fest: Bereits das erste Gedicht sagte ‚Nein‘ zum Gegebenen. Das teilt es mit seiner Übersetzerin, Freiwilligkeit vorausgesetzt. Es zu schreiben ging von einer gewissen Energie aus, das Übersetzen arbeitet sich zu ihr zurück: „getting close to the nucleus of creative energy, that is at the beginning of a poem.“ [Fußnote 20]Rosmarie Waldrop: The Joy of the Demiurg, in: Dissonance (if you are interested). Alabama 2002. Seite 138. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Text sollte nicht zum Patient werden und mit der kreativen Energie ist nicht schnurstracks das Vorsprachliche gemeint.
Pferdewetten
Translation-Trance im Selbstversuch. Ich übersetzte, einem Dichter zum Geschenk wie unter Hypnose, oder auch wie aus Liebe, innerhalb von zwei fast schlaflosen Tagen sehr viele seiner Gedichte, allerdings mittels einer englischen Übersetzung und einigen französischen oder deutschen Übersetzungen einzelner Gedichte. Die Unschärfe kam von allen Seiten. Eine Stimme dehnte sich aus, bis sie als Stimme nicht mehr zu erkennen war. Es war ein Verschwinden, nein, ein Glimmen in höchster Konzentration. Ich wollte dahinter kommen, hinter das kommen, was ich nicht lesen konnte. Dann: Ich las Korrektur, ich erwachte, ich versuchte aufzustehen und musste feststellen, dass man nach einer zweitägigen quasi-astralen Translation-Trance den Körper zwar ordnungsgemäß rücküberstellt bekommt, aber eher wie etwas, das zwischenzeitlich in einem dunklen Keller gelagert worden ist, weil man dachte, man werde es künftig nicht mehr brauchen, und dann trägt man das Ding doch zurück in die Wohnung, und … Lagerungsmacken, Stockflecken und andere Kellerschäden. Um in die Welt zurückzukommen, in die Welt beispielsweise der Bäume, des Laubs und der Pferde fuhr ich am Tag drauf hinaus zur Galopprennbahn Hoppegarten, und noch nie! ich lüge nicht – noch nie hatte ich ein solches Pech. Noch nie zuvor hatte ich im Verlauf eines Renntags keine einzige erfolgreiche Wette platziert. Ich ging von der Zielgeraden zum Führring, vom Führring zum Wettpavillon, vom Wettpavillon zur Zielgerade und immer so weiter im steten Wechsel von Erwartung, Anspannung, Aufregung (Rufen und Springen), – – – hin zu einer Enttäuschung, die in Gleichgültigkeit umschlug und sich sogleich wieder zur Erwartung aufwallte. Ich sah die Pferde im Führring, ihre Schönheit und die Schönheit ihrer Möglichkeiten, übersetzte mir ihre willkürlichen Bewegungen in den Wunsch zu rennen oder nicht, schneller zu sein als alle anderen Pferde, oder nicht, sah die Jockeys und Joketten, reimte Namen auf Zahlen auf die Farben der Ställe – und hörte nicht auf, zu verlieren. Später, müde in der S-Bahn, mutmaßte ein guter Freund: „Vielleicht ist dein Blick vom Übersetzen zu tief? Du siehst hinter die Pferde. Die Pferde rennen aber nicht in der Tiefe, sondern an der Oberfläche. Der Blick muss gleiten.“ „Du meinst also, in der Tiefe habe ich gewonnen, nicht aber an der Oberfläche?“ Ja und nein, man müsse auch den Voreingenommenheiten, den Prognosen trauen. Die Pferde liefen auf weichem Boden, aber nicht in der Tiefe. Ich hatte den Untergrund aufgewühlt, der sodann an die Oberfläche stieg und fortfuhr „sich mit dem zu vermählen, was sich von ihm scheidet“ [Fußnote 21]Gilles Deleuze: Das Bild des Denkens, Differenz und Wiederholung. Übersetzt von Joseph Vogl. München 1997. Seite 196f., er heftete hinfort das Unbestimmte an die Bestimmung. Oder hat geheftet das hinfort Unbestimmte … ? Eine Frage der Grammatik, genauso wie der Wahrnehmung. Das hab ich nicht gesehn und all meine erfolglosen Wettzettel sollten die Quittung dafür sein. Konnte die Pferde nicht übersetzen in Gewinn. Sie aber waren so schön. Ich erinnere mich an jedes einzelne von ihnen – was nicht wahr ist. Ich sehe nichts als Partiale.
Doch: Wir wolln zum Ende kommen wie alle an eine Wasserstelle
Die unendliche Aufgabe“, heißt ein Essayband des Übersetzers Klaus Reichert; dieser Titel spielt einerseits auf den berühmten Benjamin Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“, andererseits aber auch darauf an, dass „‚Aufgabe‘ auch ‚Aufgeben‘ bedeutet, weil jeder Text – ‚zwischen den Zeilen‘ – ‚als geheime Losung‘ – seine eigene Übersetzung schon enthält.“ [Fußnote 22]Klaus Reichert: Vorwort: Wir Übersetzer, in: Die unendliche Aufgabe. München 2003. Seite 20. Wann weiß ich, dass ich fertig bin? Wie ans Ende kommen, fragt Freud in einem späten, pessimistisch eingefärbten Aufsatz, „Die endliche und die unendliche Analyse“. Es gilt ja einen latenten Konflikt in einen aktuellen zu überführen, doch kann dies bedenkenlos vollzogen werden? Man begegnet der Dauer der Analyse zuweilen mit einer ungeduldigen Geringschätzung – „als würde die Feuerwehr die umgekippte Lampe entfernen – um einen durch diese ausgelösten Hausbrand zu löschen.“ Freilich wäre man nicht überzeugt von einer solchen Methode, rufen würde man und sich wehren – und Flammen schlügen aus dem „undifferenzierten Kräftereservour, aus Trieb und Stoff“. Da gibt es, so Freud weiter, das heroische Mittel der Terminsetzung, eine quasi erpresserische Maßregel. Und er schreibt: „Sie ist wirksam, vorausgesetzt, dass man die richtige Zeit für sie trifft. Aber sie kann keine Garantie für die vollständige Erledigung der Aufgabe geben.“ Daran denke ich häufig, daran denke ich in vielerlei Zusammenhang. Der Termin kann hilfreich sein, aber er gibt keine Garantie. Man müsse dies also dem Takt überlassen, wie beim „Löwen, der nur einmal springt“. Ist er denn schon gesprungen? Ist Zeit noch, zu warten? Gibt die Lampe Auskunft, die müden Augen, die nicht mehr richtig sehen? Wohl kaum, und doch: schon auch. Denn: es bin ja ich. Aber „der zu Ende beeinflusste Patient“ – erscheint beinah als ein pessimistisches Ziel. Unwillkürlich denkt man an Dressur, an den Löwen, der nur einmal springt (ein rettender Einfall und auf ihn zu warten!), und der dennoch dazu gezwungen wird, dies immer und immer wieder zu tun.
(Aber ist das dann noch Sprung? Oder springt es sich gar leichter in Serie? Da denke ich an Pastior: der seltene Tiere durch außergewöhnliche Gegenstände springen lässt, woraus ein Sog entstünde, ein lockender Sog, der sich an andere seltene Tiere richte …)[Fußnote 23]„Wenn ein seltenes Tier durch einen seltenen Gegenstand springt, ensteht ein Sog, in dem die Seltenheit des Tieres und die Seltenheit des Gegenstands sich selten schön mischen. Das Ergebnis nennen wir schönen Impuls. Er teilt sich dem Sog mit und bewirkt, dass auch andere seltene Tiere durch seltene Gegenstände springen. Die Repetition ist die Mutter des Widerspruchs, sie besitzt einen Zirkus und schwenkt Impulse. Durch die Kuppel pfeift ein Sog, den häufige Tiere beim Sprung durch häufige Gegenstände hervorrufen; das Ergebnis nennen wir schöne Resistenz.“ Oskar Pastior: Jalousien aufgemacht. Eine Lesebuch, hg. von Klaus Ramm. München, Wien 1987. Seite 213.
Und schließlich, alle Lücken gefüllt, alle Verdrängungen aufgelöst, jedes Detail angemessen übertragen und übersetzt, wäre man dann fertig? Ich zitiere weiter Freud: „Man wird zuerst die Erfahrung befragen, ob dergleichen vorkommt, und dann die Theorie, ob es überhaupt möglich ist…“ Beginnen wir bei der Erfahrung. Kommt dies vor? Nein. Die Theorie versichert: Gut, denn es ist, soweit wir wissen, auch nicht möglich. Wenn die Erfahrung aber sagt: Ja, es kommt vor, und die Theorie antwortet: Es ist nicht möglich – müssen Theorie und Erfahrung immer wieder zueinander vermittelt werden. Freud rät diesbezüglich: Die Frage sollte den Hindernissen gelten. (Du kannst nicht? Das heißt: du musst.) Ist Erledigung möglich? Genauer hinsehen. Handelt es sich um ein Ich im Konflikt mit dem Trieb oder um einen pathogenen Triebanspruch an das Ich? Lassen Sie mich dies „wild“ übersetzen: Handelt es ich um ein Ich im Konflikt mit dem lyrischen Ich seines Textes oder um einen pathogenen Triebanspruch des lyrischen Ichs an seine Übersetzer? Und ob ich, als Analytikerin, als Übersetzerin erfolgreich bin, könnte einerseits der Wirksamkeit einer kompletten Beeinflussung geschuldet sein, es könnte aber auch eine gute, erlernte Immunität gegen eine weitere Erkrankung sein, an der ich mitwirken durfte, so wie sich die Erfahrung mit jeder neuen Übersetzung mehrt, mehrt und mehrt – – – oder einfach Gunst des Schicksals! (Gunst des Schicksals insofern als dem Patienten in der Zwischenzeit nichts Schlimmes widerfahren ist, oder :::: meine Sprache ein entsprechendes Reimwort bereithält?) Doch – ich will noch einmal hungrig fragen: Gibt es ein Ende? „Wie immer man sich theoretisch dieser Frage stellen mag, die Beendigung einer Analyse“, schreibt Freud, und ich ergänze: vorsichtig, auch die einer Übersetzung, „ist, meine ich, eine Angelegenheit der Praxis.“ Bleibt die Frage: Wie entscheide ich? Ich glaube, die Antwort: glücklich.
Wahrheitsglück
Es gibt ein Wissen, das ist auch ein Wissen des Körpers, und das ist das Wissen ums Glück. Wenn etwas zur Übereinstimmung kommt, wenn ein Einfall einen neuen Weg ermöglicht, stellt sich zuweilen Freude ein, ja, man lacht. Und der Körper lacht mit, seine Laute sind Realsubstrat dieser Empfindung. Der Übergang vom FELT SENSE zum SENSE, ließe sich dies analytisch formulieren. Ein eigenartiges, unklares Gefühl, von dem, was bislang war, das einer Klarheit weicht, die von dem handelt, was nun, mit einem Mal, da ist – oder wieder da ist. Heitere Erleichterung folgt. Das kann zum Beispiel folgendermaßen aussehen: Eve Kosofsky Sedgwick beschreibt in „A Dialogue on Love„, wie sie, als ihr das „Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ erstmals begegnet, sofort zu den Kapiteln vorblättert, die sich dem Sterben widmen. Das dort Gelesene erscheint ihr fremd (awfully alien), doch als sie von vorne, am Anfang aufs Neue beginnt, passiert etwas anderes, ein Phänomen, das ihr aus der Proust-Lektüre bekannt ist, und zwar:
that when
the truth comes to you
you recognize it because
it makes you happy. [Fußnote 24]Eve Kosofyky Sedgwick: A Dialogue on Love. Boston 1999. Seite 207.
„Happy“? Freilich können wir es hierbei allein nicht belassen – in dieser quasi sensuellen Harmonie. Wir kennen auch andere Fälle. Den Schauer der Beglückung, die kaum zu ertragende Wahrheit, das Glück, das eher das Glück der Arbeit ist als das des schnellen Einfalls, das Glück der Einsicht, auch der Einsicht in die Unmöglichkeit. So dass das Glück auch in der Aufgabe bestehen kann, will sagen: im Aufgeben der Aufgabe: ich tue es nicht, es missrät. Die endliche und die unendliche Analyse. Auch das hier ist vermutlich missraten.